Auswirkungen des EuGH-Urteils zum HOAI-Vertragsverletzungsverfahren

Der Europäische Gerichtshof hat im HOAI-Vertragsverletzungsverfahren in vielen Punkten nicht den Erwartungen der BRD nach vollständigem Erhalt der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) entsprochen.

Mit dem Urteil des EuGHs gehen viele Fragen einher, daher zunächst einmal: die HOAI bleibt gültig und anwendbar. Die Dienstleistungsrichtlinie (Art. 15) verbietet zukünftig nur die verbindliche Verwendung der Mindest- und Höchstsätze. Die übrigen Formvorschriften aus § 7 I HOAI, also die schriftliche Vereinbarung bei Auftragserteilung, bleiben bestehen. Für die bestehenden Verträge ändert sich nichts, die Honorarvereinbarungen sind unverändert gültig. Es liegt auch keine Nichtigkeit nach § 134 BGB oder Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB vor.

Bei neuen Verträgen wird die vertragliche Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien immer mehr an Bedeutung gewinnen. Es empfiehlt sich daher, die Leistungsvereinbarungen in den Verträgen nach Grundleistungen und Besonderen Leistungen zu gliedern; gleiches gilt für die Vergütungsvereinbarungen. Auf diese Weise definieren Sie Ihre Leistungen eindeutig, so dass keine Verwechslungsgefahr besteht. Je klarer und eindeutiger Sie definieren, desto mehr vermeiden Sie, dass Unklarheiten zu Ihrem Nachteil ausgelegt werden.

Bei den Grundleistungen können Sie sodann die jeweiligen Einzelbewertungen festlegen, bei den Besonderen Leistungen kalkulieren Sie den Aufwand und können diese als vertragliche Vereinbarung für Ihre Vergütung zugrunde legen.

Verzichten Sie dabei möglichst auf Klauseln, die sie zur Erbringung von Besonderen Leistungen verpflichten, welche Sie bei Vertragsschluss nach Umfang und Güte nicht hinreichend kalkulieren können.

Häufig gestellte Fragen – FAQs (Informationen der Bundesingenieurkammer)

1. Was genau hat der EuGH eigentlich entschieden? Geht es um die HOAI als Ganzes oder nur um die Vergütungsregelungen?

Es geht ausschließlich um die Mindest- und Höchstsätze der HOAI und nicht um die HOAI als Ganzes. Nach europäischem Recht (Art. 15 der Richtlinie 2006/123/EG, „Dienstleistungsrichtlinie“ (DL-RL)) dürfen die Mitgliedsstaaten bestimmte Anforderungen an die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistung nur dann stellen, wenn diese nach bestimmten Kriterien gerechtfertigt sind. Zu diesen rechtfertigungsbedürftigen Anforderungen zählt nach der Richtlinie auch die Beachtung von festgesetzten Mindest- und/oder Höchstpreisen (Art. 15 Abs. 2 g)).

Die Bundesregierung und die beteiligten Planerorganisationen BIngK, BAK und AHO halten die in der HOAI formulierten Mindest- und Höchstsätze für gerechtfertigt, der EuGH sieht in diesen jedoch leider einen Verstoß gegen die Richtlinie. In jedem Fall beschränkt sich aber der Urteilsspruch damit auch nur auf die Mindest- und Höchstsätze. Auch die EU-Kommission selbst, die das Verfahren ja angestrengt hat, hat im Übrigen deutlich gemacht, dass sie weder die Leistungsbilder noch sonstige Regelungen der HOAI beanstandet, sondern ausschließlich die Verbindlichkeit des Preisrechts. 

2. Die HOAI ist ja eine „Inländer-HOAI“, d.h. sie gilt nur für Auftragnehmer mit Sitz in Deutschland und die Leistungen müssen zusätzlich auch in Deutschland erbracht werden. Betrifft das Urteil des EuGH daher nur Fälle mit grenzüberschreitendem Bezug oder auch reine Inlandssachverhalte?

In einem anderen Verfahren hat der EuGH erst im Januar 2018 klargestellt, dass die in dem betreffenden Kapitel der Dienstleistungsrichtlinie enthaltenen Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer auch auf reine Inlandssachverhalte anwendbar sind. Und auch im Rahmen des HOAI-Vertragsverletzungsverfahrens ist der EuGH nicht zu einer anderen Entscheidung gelangt, daher gilt das Urteil für alle Sachverhalte.

3. Treten die Mindest- und/oder Höchstsätze nun nach dem EuGH-Urteil sofort außer Kraft?

Aufgrund des EuGH-Urteils hat die Bundesrepublik Deutschland nun die Pflicht, die beanstandeten Regelungen „so schnell wie möglich“ aufzuheben. Da Gesetze zu ändern sind und das parlamentarische Verfahren eingehalten werden muss, kann das bis zu einem Jahr dauern. Das bedeutet aber nicht, dass die HOAI-Mindest- und Höchstsätze bis zu deren Aufhebung ohne weiteres weiter gelten, denn die Gerichte in Deutschland haben ab dem Zeitpunkt des Urteilsspruch die Pflicht, die Beachtung des EuGH-Urteils in der Rechtsprechung sicherzustellen. Dies bedeutet, dass die Regelungen noch existieren, aber faktisch keine Rechtswirkung mehr entfalten dürfen.

4. Was passiert nun mit einem vor der EuGH-Entscheidung abgeschlossenen Vertrag, bei dem ein Honorar vereinbart worden ist, das unterhalb der Mindestsätze bzw. oberhalb der Höchstsätze liegt?

Zunächst ist festzuhalten, dass der Vertrag im Hinblick auf die Leistung und die Nebenpflichten vollkommen unberührt bleibt. Liegt die bezifferte oder bezifferbare Vergütung dabei aber unterhalb der Mindestsätze der HOAI, kann sich der Planer vor Gericht aufgrund des nun ergangenen EuGH-Urteils nicht mehr auf diese berufen. Das gleiche gilt entsprechend für den Fall der Höchstsatzüberschreitung. Die in der HOAI verankerte „Preiskontrolle“ wird also künftig nicht mehr imstande sein, die getroffene Vereinbarung in die eine oder andere Richtung zu überlagern.

5. Kann der Auftraggeber nach dem EuGH-Urteil jetzt eine Herabsetzung des Honorars unter die früheren Mindestsätze verlangen?

Öffentliche Auftraggeber werden diese Möglichkeit wahrscheinlich nicht in Betracht ziehen. Bei privaten Auftraggebern ist es hingegen nicht ganz auszuschließen, dass sie unter Bezugnahme auf das EuGH-Urteil eine Herabsetzung der Vergütung verlangen. Dem muss aber nicht nachgekommen werden, das EuGH-Urteil hat keine unmittelbare Rechtswirkung auf abgeschlossene Verträge. Es gilt der Grundsatz „pacta sunt servanda“.

Bei „Altverträgen“ könnte ein Auftraggeber zwar grundsätzlich auf den Gedanken kommen, sich auf einen sogenannten „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ (§ 313 Abs. 1 BGB) zu berufen, indem er versucht geltend zu machen, dass er ohne die bis dato verpflichtende Beachtung der HOAI-Mindestsätze nur zur Zahlung einer geringeren Vergütung bereit gewesen wäre. Es ist aber davon auszugehen, dass eine solche Argumentation vor Gericht in aller Regel nicht durchdringen wird.

Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass 

  • bestimmte Umstände zur Grundlage eines Vertrags geworden sind,
  • diese Umstände sich nach Vertragsschluss ändern,
  • die Parteien in Kenntnis der Änderung den Vertrag so nicht geschlossen hätten und
  • einer Partei ein Festhalten am Vertrag unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nicht zugemutet werden kann.

Zwar ist anerkannt, dass Gesetzesänderungen und Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage führen können. Auch ließe sich möglicherweise annehmen, dass die Unionsrechtskonformität der Mindest- und Höchstsätze zur Grundlage einer Honorarvereinbarung geworden sein kann. Die Anwendung von § 313 Abs. 1 und 2 BGB dürfte jedoch am Kriterium der „Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag“ scheitern. Hierfür kommt es nämlich entscheidend darauf an, ob die Umstandsänderung (bzw. die anfängliche Fehlvorstellung) zu einem erheblichen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung geführt hat.

Dieses „erhebliche Missverhältnis“ ist dabei kaum vorstellbar: Erstens beruhen die Honorarsätze der HOAI auf empirischen Untersuchungen hinsichtlich der Kostenstruktur bei Planungsleistungen; eine „generelle Unangemessenheit“ ließe sich daher kaum begründen. Zweitens sieht § 7 HOAI bereits gewisse Abweichungsmöglichkeiten nach oben und unten vor, um auch eine Angemessenheit im Einzelfall sicherzustellen. Drittens ergibt sich aus dem EuGH-Urteil keine Aussage zur Unionsrechtskonformität oder Angemessenheit eines bestimmten Honorars oder eines bestimmten Wertes einer Planungsleistung.
Entsprechend ist in Folge des EuGH-Urteils in aller Regel keine Anpassung oder gar Kündigung bestehender Honorarvereinbarungen nach § 313 BGB zu erwarten. Dies belegt auch ein von der BIngK, dem AHO und der BAK beauftragtes unabhängiges Rechtsgutachten.

6. Was ist bei zukünftigen Honorarvereinbarungen zu beachten?

Entscheidend ist vor allem, dass eine Honorarvereinbarung getroffen wird, die auch den wirtschaftlichen Interessen der Planer gerecht wird! Die „Rückfalloption“ der verbindlichen Sätze der HOAI gibt es nach dem Urteil faktisch nicht mehr, eine Berufung auf § 7 Abs. 5 HOAI scheidet daher aus. Einer Bezugnahme auf die HOAI in der Vereinbarung steht jedoch natürlich nichts entgegen.

7. Wie geht es weiter? Legt die Bundesregierung die neuen Regelungen von sich aus fest oder werden die Planer eingebunden?

Wie im gesamten Verfahren stehen die Planerorganisationen BIngK, BAK und AHO nun auch bei der Findung einer Lösung in engem Austausch mit den Fachministerien. Voraussichtlich wird es ein Modell analog dem der Steuerberater geben. Auch die Steuerberater mussten ihre Mindestsätze aufgeben und die Bundesregierung hat in Abstimmung mit der Europäischen Kommission ein Modell entwickelt, wonach künftig statt von Mindestsatz von einem Regelsatz auszugehen ist. Von diesem Regelsatz kann durch Vereinbarung abgewichen werden, worauf der Steuerberater seinen Mandanten hinweisen muss. Diese mögliche Abweichung unterliegt dabei aber einem ausdrücklichen Angemessenheitsvorbehalt, der sich nach bestimmten Kriterien - wie etwa der Schwierigkeit der Planungsleistung - richtet. Natürlich ist das Model kein vollwertiger Ersatz für die Mindestsätze, aber es steht zu hoffen, dass dieses Modell einen Preisrutsch nach unten verhindert.


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