Nachträge im Bauvertrag: Warum eine bloße Leistungsaufforderung durch den Architekten keine Nachtragsbeauftragung darstellt
In der Praxis des Bauens ist es keine Seltenheit: Während der Ausführung von Bauleistungen stellt der Auftragnehmer fest, dass zusätzliche oder geänderte Leistungen notwendig sind. Ein Nachtragsangebot wird erstellt, der Architekt des Auftraggebers prüft es – und fordert schließlich zur Leistungserbringung auf, lehnt den Nachtrag aber ab.
Kann der Auftragnehmer in diesem Fall auf zusätzliche Vergütung hoffen?
Das Oberlandesgericht Brandenburg (Urteil vom 15.08.2024 – 10 U 100/23) hat dazu nun eine klare und praxisrelevante Entscheidung getroffen, die für Architekten, Ingenieure und Bauherren gleichermaßen von Bedeutung ist. Sie verdeutlicht die Voraussetzungen für vergütungspflichtige Nachtragsleistungen nach VOB/B und grenzt die Rolle des Architekten gegenüber dem Auftragnehmer deutlich ab.
Kernaussage des Urteils
Die Richter stellten klar: Eine Leistungsaufforderung durch den Architekten stellt keine Beauftragung eines Nachtrags dar. Nur eine ausdrückliche vertragliche Änderung oder eine Anordnung im Sinne der VOB/B § 1 Abs. 3 – durch einen dazu bevollmächtigten Vertreter des Auftraggebers – kann eine Anspruchsgrundlage für zusätzliche Vergütung schaffen.
Mit anderen Worten: Der Architekt kann nicht „automatisch“ eine kostenwirksame Nachtragsleistung auslösen, nur weil er zusätzliche Ausführungen anfordert. Eine stillschweigende Beauftragung aufgrund konkludenten Handelns – etwa durch die Übersendung neuer Pläne oder das bloße Schweigen des Auftraggebers – reicht nicht aus.
Was war passiert? – Der Fall in Kürze
Ein Auftragnehmer erkannte während der Bauausführung Abweichungen zu den ursprünglichen Plänen. In der Folge reichte er ein Nachtragsangebot ein. Der Architekt des Auftraggebers reagierte, übersandte geänderte Pläne, forderte die Leistungserbringung – und lehnte den Nachtrag gleichzeitig ab.
Der Auftragnehmer verlangte daraufhin zusätzlichen Werklohn in Höhe von 1.311,38 Euro. Das OLG Brandenburg wies die Klage jedoch ab: Es fehle an einer vertraglich vereinbarten Leistungsänderung.
Nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B sind geänderte oder zusätzliche Leistungen nur dann vergütungspflichtig, wenn sie vom Auftraggeber veranlasst wurden und entweder ausdrücklich oder konkludent als Vertragsänderung vereinbart wurden. Dabei trägt der Auftragnehmer die Darlegungs- und Beweislast.
Im Urteil wurde deutlich:
- Die Übersendung neuer Planunterlagen durch den Architekten stellt noch keine Nachtragsbeauftragung dar.
- Ein Nachtragsangebot allein genügt nicht.
- Selbst eine Leistungsaufforderung durch den Architekten, verbunden mit der Zurückweisung des Nachtrags, stellt keine konkludente Beauftragung dar.
Ein solcher Fall müsse stets anhand der konkreten Umstände bewertet werden – entscheidend sei jedoch immer die Willensbildung des Auftraggebers und dessen ausdrückliche Zustimmung zur zusätzlichen Vergütung.
Relevanz für die Praxis
Für Ingenieure und Architekten in der Bauleitung bedeutet dies:
- Klare Kommunikation mit dem Auftraggeber ist unerlässlich.
- Wer Nachträge beauftragen will, muss sich der eigenen Bevollmächtigung bewusst sein.
- Keine rechtsverbindlichen Anordnungen ohne explizite Vollmacht.
- Die Rolle des Architekten als Vertreter hat ihre Grenzen – auch wenn er die Bauleitung innehat.
- Auftragnehmer müssen stets schriftliche Beauftragungen einholen, bevor sie Mehrleistungen erbringen, um eine Vergütung zu sichern.
- Unklare Vertragslagen gehen zu Lasten des Auftragnehmers – hier ist eine sorgfältige Dokumentation entscheidend.
Das Urteil des OLG Brandenburg schafft wichtige Klarheit für die tägliche Praxis auf der Baustelle: Nicht jede Planänderung oder Aufforderung zur Leistung durch den Architekten begründet automatisch einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung.
Insbesondere für Ingenieurinnen und Ingenieure, die als Bauüberwacher tätig sind, ist es essenziell, ihre Rolle und rechtliche Stellung gegenüber dem Auftragnehmer genau zu kennen – und nur im Rahmen ihrer Vollmacht zu handeln. Die korrekte Anwendung der VOB/B und eine sorgfältige Vertrags- und Nachtragsdokumentation bleiben das Fundament rechtssicherer Bauprojekte.
Quelle: https://kurzlinks.de/fhsu