Nachträge und Zahlungsverzug: Das Leistungsverweigerungsrecht des Unternehmers rechtssicher anwenden
Die Ausführung von Bauprojekten ist geprägt von engen Zeitplänen, hohen Investitionen – und häufigen Nachträgen. Gerade in diesem Kontext wird die rechtliche Absicherung der Unternehmerleistung zentral. Ein zentrales, jedoch oft unterschätztes Instrument ist das Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 BGB.
Rechtlicher Rahmen: Vorleistungspflicht und Gegenleistung
Im Werk- und Bauvertragsrecht ist der Unternehmer gesetzlich zur Vorleistung verpflichtet (§ 632a BGB, § 16 Abs. 1 VOB/B). Das bedeutet: Er muss zunächst die geschuldete Leistung oder Teile davon erbringen, bevor er eine Vergütung beanspruchen kann.
Wird diese Teilleistung ordnungsgemäß erbracht, kann der Unternehmer die weitere Ausführung der Arbeiten verweigern, solange die entsprechende Abschlagszahlung aussteht – das ist der Kern des § 320 BGB. Dieses Leistungsverweigerungsrecht greift unabhängig von einem Verschulden des Bestellers oder dem Eintritt eines Verzugs.
Ab wann darf ein Ingenieur oder Bauunternehmer die Arbeit einstellen?
Die Voraussetzungen für ein rechtssicheres Leistungsverweigerungsrecht sind klar:
- Die Teilleistung muss erbracht sein.
- Die Forderung muss fällig, wirksam und berechtigt sein.
- Die Gegenleistung (hier: Zahlung) muss ganz oder teilweise ausstehen.
Doch in der Praxis lauern juristische Fallstricke. Der Unternehmer trägt das Risiko, dass sich die Leistungsverweigerung als unberechtigt herausstellt – mit möglicherweise erheblichen Folgen für Bauablauf und Vertragsverhältnis.
Wichtige Einwendungen des Bestellers – und ihre rechtliche Bedeutung
1. Geringfügigkeit der offenen Vergütung (§ 320 Abs. 2 BGB)
Der Klassiker unter den Streitpunkten: Der Besteller zahlt eine Abschlagsrechnung nicht – aber nur einen kleinen Teil davon. Hier greift § 320 Abs. 2 BGB: Ist der offene Betrag verhältnismäßig geringfügig, darf der Unternehmer nicht die Arbeit verweigern.
Was „geringfügig“ bedeutet, ist jedoch nicht pauschal bestimmbar. In der Rechtsprechung schwankt die Grenze zwischen 1,5 % (OLG Saarbrücken) und mehr als 4 % (OLG Brandenburg) der Nettoauftragssumme. Als Orientierung:
- 2–5 % der Auftragssumme gelten als Faustregel.
- Bei Großprojekten können jedoch auch geringe Prozentsätze hohe absolute Beträge darstellen – etwa 1 Mio. € bei 100 Mio. € Auftragswert. Hier kann schon 1 % als nicht geringfügig gelten.
2. Nicht erreichter Leistungsstand
Ein weiterer häufiger Einwand: Die abgerechnete Leistung wurde gar nicht in vollem Umfang erbracht. Dann liegt keine fällige Forderung vor – das Leistungsverweigerungsrecht greift nicht.
Gefährlich wird es für Unternehmer besonders, wenn Nachträge oder geschätzte Aufmaße Grundlage der Abrechnung sind, aber noch keine belastbare Prüfung erfolgt ist. Hier ist Sorgfalt und Dokumentation entscheidend.
Praxis-Tipp: Strategisches Vorgehen für Ingenieure
- Leistungsstand exakt dokumentieren: Aufmaß, Abnahmeprotokolle und Fotos helfen, im Zweifel die Richtigkeit der Abschlagsforderung zu beweisen.
- Kommunikation mit dem Auftraggeber offenhalten: Frühzeitige Hinweise auf Zahlungsverzug, Mahnungen und ggf. Ankündigung der Leistungseinstellung schützen vor Missverständnissen und rechtlichen Angriffen.
- Geringfügigkeit realistisch bewerten: Auch wenn die Quote gering erscheint, kann der absolute Betrag entscheidend sein. Eine fundierte Einzelfallabwägung ist unerlässlich.
- Risiken abwägen: Eine unberechtigte Arbeitseinstellung kann zu Schadensersatzforderungen führen. Im Zweifel sollte juristischer Rat eingeholt werden – auch zur Einschätzung der Erfolgsaussichten.
Leistungsverweigerung – starkes Mittel mit Augenmaß
Das Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 BGB bietet Unternehmern und Ingenieuren ein wirksames Werkzeug zur Absicherung ihrer Ansprüche. Es muss jedoch mit Bedacht und fachlicher Prüfung eingesetzt werden. Denn: Die Grenze zwischen berechtigter Leistungseinstellung und vertragswidrigem Verhalten ist schmal.
Quelle: https://kurzlinks.de/cdfl